(Dr. Walter Zimmermann)

Um 1900 ist der Einfluss der Sozialdemokratie in Hemmingen noch kaum zu verspüren. Fünf Stimmen wurden 1900 bei der Landtagswahl für die SPD in der Gemeinde abgegeben, obwohl auf Reichsebene die SPD zu dieser Zeit mit 31,1% (1903) bereits die stärkste politische Kraft bildete.

Mit der Einbeziehung der ländlichen Gemeinden um Stuttgart in den Industriali-sierungsprozess kurz vor dem 1. Weltkrieg (Bahnanschluss Hemmingens 1906) fand die württembergische Reform-SPD auch in Hemmingen immer mehr Anhänger unter den Tagelöhnern/landwirtschaftlichen Arbeitern, Industriearbeitern, Kleinbauern und kleinen Handwerkern. 1912 erhielt die SPD in Hemmingen bei Reichstagswahlen bereits 39 Stimmen (21,3 %).

Die entscheidende politische Zäsur im Reich wie in Hemmingen bildete der 1. Weltkrieg, für den die traditionellen Eliten in ihrem vor- bzw. teildemokratischen System die Hauptverantwortung trugen. Der demokratisch-politische Neuanfang ohne Monarchie wurde trotz schwerer innen- und außenpolitischer Belastungen von über 75 % der Wähler begrüßt. Der SPD und der mit ihr verbundenen Mehrheit der Arbeiter- und Soldatenräte kam hierbei eine Schlüsselrolle zu. Doch eine Minderheit der Räte, die von der abgespaltenen USPD und Spartakus/KPD getragen wurde, wollte entweder zunächst oder auf Dauer kein demokratisch gewähltes Parlament. Dieser verhängnisvolle Konflikt spielte auch in der Gründungsphase der SPD in Hemmingen eine zentrale Rolle. Auf Initiative des mitreißenden Redners und Lehrers Karl Rapp (aus der Hemminger Bäcker-Rapp-Familie) wurde am 23.12.1918 im Hemminger Pfarrsaal ein Ortsverein der „Unabhängigen Sozialdemokratie“ (USPD) mit fast 40 Mitgliedern gegründet. Für Karl Rapp (geb. 1886), der unter Förderung von Ludwig Speidel sen. wie dessen Sohn und gleichaltrigen Schulfreund Lehrer geworden war, wurde der 1. Weltkrieg zum entscheiden-den Wendepunkt seines Lebens. Sein Kriegseinsatz, das Kriegselend, der Kriegstod Ludwig Speidels und vieler Kameraden, seine Verwundung, die Zeit im Feldlazarett und der Tü-binger Uniklinik für Nervenheilkunde veränderten sein Leben radikal. Er schloss sich der linken Räteminderheit und der USPD an, wurde pazifistischer Kämpfer der „reinen sozialistischen Idee“, verteilte unter den Hemminger Bauern – erfolglos – seine Schrift „Landwirtschaft und Sozialismus“, trat aus dem Schuldienst aus und schloss sich in Urach der alternativen Kommune um K. Raichle und Th. Plivier an, die linke Schriftsteller (Johannes R. Becher, Erich Mühsam, Ernst Glaeser), Marxisten (den Arzt Friedrich Wolf, Hechingen/Stuttgart, Vater von Markus Wolf) und barfüßige Gottessucher anzog. Seit dieser Zeit bezeichnete er sich als „internationaler anarchokommunistischer Theokrat“. Die Hemminger Arbeiter – so Emil Jetter (1890 – 1982) – „vertrieb er schnell“. Sie traten aus der USPD aus und schlossen sich zu einem die Gegensätze überbrückenden Arbeiterverein Hemmingen und zum (Arbeiter-) Sportverein zusammen.

Für die Gemeinderatswahlen 1919 stellte der Arbeiterverein eine Liste mit folgenden Kandidaten auf: Gotthilf Rapp (Maurer *1888), Karl Schmid (Schmied *1888), Albert Würth (Schreiner *1874), Jakob Hartmann (Löwenwirt *1878), Emil Rapp (Hirschwirt *1882), Emil Honeck (Schneidermeister *1887), August Raiser (Bauer *1875). Unterstützt wurde dieser Wahlvorschlag von 18 Männern und einer Fau: Emil Schmid (Gärtner), Philipp Burkhardt (Arbeiter und Bauer), Karl Maienknecht (Arbeiter), Karl Kranich (Kutscher), Karl Bauer (Taglöhner/Arbeiter), Christian Haug (Arbeiter), Albert Maier (Schreiner), Johann Sauter (Arbeiter), Georg Fetzer (Schneider), Gottlob Dobler (Steinbruch-arbeiter), Wilhelm Braun (landwirtschaftlicher Arbeiter), Maria Braun, Paul Glaser (Arbeiter), Friedrich Rapp (Amtsdiener), Hermann Huber (Mechaniker), Theodor Honeck (Schneider), Emil Jetter (Lagerist), Fritz Wagner (Arbeiter), Carl Feßmann (Fräser). Diese Personen bildeten mit dem Vorstand des Arbeitervereins den Kern der Anhänger der SPD in Hemmingen zu dieser Zeit. 1921 und 1922 waren im Vorstand des Arbeitervereins tätig: 1. Vorsitzender Hermann Bögi (Kaufmann), 2. Vorsitzender Karl Schmid bzw. Paul Glaser, Kassier Emil Jetter, Schriftführer Georg Fetzer, Ausschuss: Jakob Bauer (Steinhauer), Karl Bauer, Wilhelm Braun, Christian Haug, Albert Würth.

In den Gemeinderat gewählt wurden Karl Schmid und Jakob Hartmann (22,6 % der Stimmen). Für 1922 ist eine Eingabe des Arbeitervereins an den Gemeinderat belegt, die zum Ziel hatte, die Pachtzinsen der Gemein-de trotz starker Inflation nicht oder nur gering zu erhöhen. Der Gemeinderat lehnte dies aber mit 9:1 Stimmen ab.

Angesichts der Neuwahl der Hälfte des Gemeinderats 1922 wurde offensichtlich auch ein neuer Versuch unternommen, einen organisatorischen Neuanfang als Partei herbeizuführen, nachdem 1918 dieser Versuch an den inneren Gegensätzen gescheitert war. Der Ortsverein Hemmingen der „Vereinigten Sozialdemokratischen Partei“ stellte eine eige-ne Liste auf und erzielte mit 24,1 % der Stimmen ein besseres Ergebnis als 1919. Bei dieser Wahl wie bei allen folgenden Teilwahlen des Gemeinderats konnte der 2. Sitz im Gemeinderat behauptet werden. 1922 wurde Jakob Hartmann wiedergewählt. Bei den fol-genden Wahlen gab es eine Liste der Kleinbauern und Arbeiter (1925) sowie der Arbeiterschaft (1928 und 1931). Gewählt wurde 1925 Hermann Bögi (Wiederwahl 1931) und 1928 Friedrich Wagner (Lagerist).

Einzelne politische Veranstaltungen des Arbeitervereins sind vor allem bis zur Mitte der 20er Jahre belegt, der Schwerpunkt der politischen Tätigkeit Hemminger Arbeiter und SPD-Mitglieder – Vorträge, Versammlungen, Demonstrationen – vollzog sich jedoch an ihrem Arbeitsort (Zuffenhausen, Feuerbach). Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre bildete zunehmend der Arbeitersport-verein den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens der Mitglieder bzw. Anhänger der SPD.

Die Machtübergabe an die NSDAP, die Stärkung der NSDAP in den Märzwahlen 1933 und das von der SPD abgelehnte Ermächtigungsgesetz führten auch in Hemmingen zur Auflösung des Arbeitersportvereins sowie zur Behinderung und Unterdrückung der politischen Tätigkeit der SPD-Anhänger. Wegen der Verkleinerung des Gemeinderats musste zunächst Fritz Wagner (immerhin noch mit einem Dankschreiben des Bürgermeisters) und nach dem Verbot der SPD auch Hermann Bögi aus dem Gemeinderat ausscheiden.

Nach dem 2. Weltkrieg lassen sich die organisatorischen Neuanfänge der SPD in Hemmingen im Zusammenhang mit den Gemeinderatswahlen im Januar 1946 belegen. Am 20.1. 1946 erlaubte die Militärregierung in Hemmingen eine SPD-Versammlung im Pfarrsaal mit dem Redner Josef Hirn, die von 110 Personen besucht wurde. Bei der Wahl am 27.1.1946 wurde eine gemeinsame Liste bestätigt, auf der die Arbeiterschaft mit Otto Schmid, Julius Schmückle und Wilhelm Kläger vertreten und im Gemeinderat repräsentiert war.